Haftorte

Wie es mit den Menschen weiterging, die im Gestapo-Lager Neue Bremm inhaftiert waren: weitere Haftorte

Das Geschlecht und die Nationalität verweisen direkt auf die Haftgründe. Beides steht auch in Beziehung zum weiteren Verlauf der Inhaftierung im Lager Neue Bremm. Doch es ist nicht allein der Haftgrund, der über den weiteren Verlauf der Inhaftierung und die damit verbundenen Haftorte bestimmt und damit über Leben oder Tod entscheidet. Vier Faktoren, die sich zu zwei Paaren gruppieren lassen, nehmen darauf starken Einfluss. Sie ließen sich bei der Auswertung der zu ehemaligen Häftlingen im Gestapo-Lager Neue Bremm vorliegenden Landesentschädigungsakten und weiteren im Saarländischen Landesarchiv verwahrten Dokumenten herausarbeiten.

„Ideologie und Pragmatismus“ nehmen Einfluss auf den Verbleib der Häftlinge

„Ideologie“ und „Pragmatismus“ bilden eines der Begriffspaare. Denn, schaut man auf einzelne Fälle, sind es pragmatische Überlegungen, etwa der in den späteren Kriegsjahren vorhandene Mangel an Arbeitskräften im Bergbau oder in der Eisenindustrie. Dieser Mangel verhinderte, dass ein Bergmann oder Eisenflechter, der 1935 als Befürworter des Status quo nach der Abstimmung als Gegner des Nationalsozialismus nach Frankreich geflohen war und 1943 über Paris ins Lager Neue Bremm kam, in ein Konzentrationslager oder ein Gefängnis überführt, sondern zur Arbeit, etwa in dem Röchling‘schen Eisen-und Stahlwerken Völklingen verpflichtet wurde. Auch wurden einige dieser Männer der Organisation Todt überstellt oder zur Wehrmacht einberufen.Ausschnitt Verfolgungsbericht Lorenz H.

Wirkfaktor Pragmatismus: Lorenz H. wurde nicht von dem Gestapo-Lager Neue Bremm nicht in ein KZ überführt, sondern der Organisation Todt als Arbeiter zugewiesen.
Quelle: LA SB, LEA 11050

Eingangstor Gedenkstätte KZ Dachau

Eingangstor des Konzentrationslager Dachau: Nikolaus F. wurde wegen „Gefährdung der Sicherheit des Staates“ von Saarbrücken nach Dachau verlegt. Quelle: LA SB, LEA 11968, 11969


In anderen Fällen wurden 1935 nach Frankreich vor politischer Verfolgung geflohene Saarländer in die Konzentrationslager Dachau oder Mauthausen wegen Hoch- und Landesverrats zuerst nach Saarbrücken gebracht und von dort aus in Konzentrationslager verbracht. Anderen machte man, wenn sie als Jugendliche mit ihren Eltern nach Frankreich geflohen und dort in die Armee einberufen worden waren, den Prozess wegen landesverräterischer Waffenhilfe. Sie kamen im Wehrmachtsgefängnis Fort Zinna in Torgau an der Elbe in Haft.

„Willkür und Empathie“ bestimmen über Tod oder Leben

„Willkür“ und „Empathie“ stehen im Zusammenhang mit persönlichen Beziehungen. Die Akten berichten von Fällen der Fürsprache von NS-Funktionären vor allem im Zusammenhang der Verhaftungen von älteren Funktionärinnen und Funktionären der Sozialdemokratischen, Kommunistischen oder der Zentrumspartei in Folge des Stauffenberg-Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Dabei sprachen Familienangehörige diese Personen, die in ihrer Nachbarschaft lebten oder mit denen sie bereits bekannt waren an und baten sie um Hilfe. Dieser Umstand nahmen die Betreffenden für sich in Anspruch, als sie nach 1945 in Entnazifizierungsverfahren durchliefen und damit auf ein milderes Urteil oder eine für sie günstigere Einschätzung oder gar die Freilassung auf der Haft hofften. Denn es gelang, dass einige der von der Lagerhaft Betroffenen entlassen wurden. Es mag unklar bleiben, ob dies direkt auf die um Hilfe gebetenen NS-Funktionäre geht, aber das Ergebnis legt nahe, dass hier der Faktor „Empathie“ auf die Entscheidung eingewirkt hat.

Was Empathie bewirken…

Es gibt einen konkreten Fall, in dem es gelangt, eine dem Vorwurf des Vergehens gegen das Heimtückegesetz ausgesetzte junge Frau der Gestapo zu entziehen.

Porträt Margot H. um 1945

Ein Fall von Empathie: Ein Margot H. bekannter Staatsanwalt erließ einen Haftbefehl und entzog sie damit der Gestapo und einer möglichen KZ-Haft. Foto: Privat

Ein der Frau und ihrer Familie bekannter Staatsanwalt erließ gegen die vor ein Sondergericht gestellte Frau einen Haftbefehl. Sie wurde daraufhin von dem Gericht zu einer in Saarbrücken zu verbüßenden Gefängnisstrafe verurteilt. Damit blieb der jungen Frau die Überweisung in ein Konzentrationslager, in diesem Fall nach Ravensbrück, erspart. Diese Gefahr bestand, so lange eine Person in der Gewalt der Gestapo war, die das Lager Neue Bremm betrieb und frei entscheiden konnte, was mit einem Häftling geschah.

…und Willkür anrichten konnte

Je später im Verlauf des Krieges die Überführung in ein Konzentrationslager erfolgte, desto geringer war die Chance, dort zu überleben. Vor allem galt das für ältere Personen, wie ein Fall belegt. Ein Mann Mitte Fünfzig hatte sich in der Betriebskantine beschwert, dass es aufgrund des Krieges keinen Zucker mehr für den Kaffee gab. Daraufhin bekannte er, dass er lieber Zucker im Kaffee und keinen Krieg haben wollte. Der Mann, der als Wachmann in einem Eisenwerk- und Stahlwerk arbeitete, wurde daraufhin ermahnt. Als er sich Tage danach, seinen Dienst nicht korrekt beendet hatte, wurde er wegen des Vorwurfs der Heimtücke in Haft und daraufhin in das Gestapo-Lager Neue Bremm eingeliefert. Das geschah zu einem Zeitpunkt, als sich im September 1944 das Lager bereits in Auflösung befand. Da niemand sich für ihn einsetzte, wurde er einem Transport in das Konzentrationslager Sachsenhausen zugeteilt. Von dort kam nach drei Monaten im Januar ein letzter Brief an seine Ehefrau. Danach verlor sich seine Spur. Er wurde nach 1945 für tot erklärt.

Auszug Brief Peter F. aus dem KZ Sachsenhausen vom 18.01.1945 an seine Ehefrau

Wirkfaktor Willkür: Unliebsam auf der Arbeitsstelle geworden und ohne Hilfe von außen im Lager Neue Bremm. Im Zuge dessen Auflösung ins KZ Sachsenhausen verlegt. Ein letzter Brief vom 18. Januar 1945, danach verschollen. Quelle: LA SB, LEA 11956, Blatt 9

Die in der Landesentschädigungsakte enthaltenen Zeugenaussagen legen nahe, dass hier die von den Vorgesetzten des Mannes im Werk die Chance ergriffen wurde, durch Denunziation einen älteren und unliebsamen Mitarbeiter loszuwerden und ihn dabei der Willkür des Gestapo-Apparates auszuliefern. Von der Wirkmacht dieser Faktionen wird an ausgewählten Beispielen in weiteren Blogbeiträgen die Rede sein.