Konrad P. wurde 1887 in Völklingen geboren und lebte zuletzt in Saarwellingen. Der Korbmacher und Erdarbeiter wurde im November 1937 zu drei Tagen Haft verurteilt, nachdem man einen Strafbefehl gegen ihn wegen des Deliktes „in Körprich gebettelt“ (LA SB, JVA.SB 15037) zu haben, erlassen hatte.

Konrad P. verhaftet bei der Aktion "Arbeitszwang Reich" im Juni 1938

Einweisung  von Konrad P. in der Konzentrationslager Buchenwald. Quelle: LA SB, JVA.SB 15037

Am 16. Juni 1938 wurde Konrad P., der zu diesem Zeitpunkt 51 Jahre alt war, aus Anlass der im Juni 1938 stattfindenden Aktion „Arbeitszwang Reich“ in das Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen. Weitere Anlässe oder Haftgründe hatte es für die Gestapo, die mit dieser Aktion befasst war, nicht gebraucht, um Konrad P. in ein Konzentrationslager zu überführen. Dort blieb er zwei Jahre. Anstatt freigelassen zu werden, wurde er am 15. April 1940 in das Konzentrationslager Mauthausen verlegt und nur drei Monate danach kam er am 15. August in das Konzentrationslager Dachau. Dort starb er drei Tage später am 18. August 1940 mit 53 Jahren an den erlittenen Qualen, die er als älterer Mensch in drei Konzentrationslagern auszuhalten hatte. Darunter war das Steinbruchlager Mauthausen mit der sogenannten „Todesstiege“, über welche die Häftlinge große Steinblöcke auf ihren Rücken nach oben tragen mussten.
Der fast zehn Jahre ältere Friedrich M. oder Marks Friedrich – das ist nicht eindeutig zu klären – aus Willen bei Hamburg, dessen letzter Wohnsitz in der Stromstraße in Saarbrücken-Malstatt gewesen war, geriet als Schausteller in das Visier der Polizei. Der 64-jährige Witwer und Vater von sechs Kindern, wie aus der Schreibstubenkarte des Konzentrationslager Dachau (Arolsen Archives, DocID_10644533) kam am 10. August 1942 zur Polizeilichen Sicherungsverwahrung (PSV) in das Konzentrationslager Dachau, nachdem er am 26. Juni 1942 in Saarbrücken ins Gefängnis eingewiesen worden war. Es wurde „Sicherungsverwahrung“ angeordnet, versehen mit dem Hinweis auf die Minderheit der Sinti, was in der damals gebräuchlichen Sprache mit „Zigeuner“ benannt und damit stigmatisiert wurde.

Friedrich M. oder Marks Friedrich? Der Sinto wird in polizeiliche Vorbeugungshaft genommen.

Auszug aus der Strafakte von Friedrich M., in der polizeiliche Vorbeugungshaft angeordnet wurde. Quelle: LA SB, JVA.SB 10983

Die Folge dieser Maßnahme war, dass er in ein Konzentrationslager überstellt wurde. Der Eintrag im Eingangsbuch des Konzentrationslagers Dachau weist als Haftgrund „AZR“ bzw. „Arbeitszwang Reich“ aus. Friedrich M. wurde somit als „asozial“ stigmatisiert. Anders als im Deutschen üblich, kann es sein, dass er bei der Anmeldung in Dachau seinen Vornamen zuerst genannt hat, denn es existiert auch eine weitere Schreibstubenkarte, die ihn als „Max Friedrichs“ ausweist (Arolsen Archives, DocID_10057169). Nachdem er am 4. September 1942 von Dachau nach Sachsenhausen überstellt worden war, verliert sich seine Spur. Vermutlich erging es ihm wie vielen älteren Häftlingen, die zur Zwangsarbeit in den Lagern gezwungen wurden und daran elend zugrunde gingen. Strafbefehle, die Vergehen von Friedrich M. auflisteten, fanden sich keine. Seine Lebensumstände und die Zugehörigkeit zu einer Minderheit genügten, um ihn als „asozial“ zu stigmatisieren und in ein Konzentrationslager einzuweisen.

Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung waren mit dem Stigma „asozial“ verbunden

Abweichendes Verhalten, ob in der Lebensweise oder in der Arbeitsauffassung wurde im NS-Regime nicht geduldet. Die sogenannte „Volksgemeinschaft“ war alles, der einzelne galt nichts. Diejenigen, zu denen jeder zählte, die sich nicht der vorgegebenen Ordnung fügen wollten oder konnten, wie es bei Wolfgang Benz (Benz 2016) heißt, galten als „gemeinschaftsfremd“. Götz Aly verweist in diesem Zusammenhang in seiner aktuellen Publikation „Wie konnte das geschehen= Deutschland 1933-1945“ auf einen wichtigen die NS-Diktatur stabilisierende Faktor hin. Um die „schweigende Mitte“ und damit die Mehrheit der Gesellschaft stabil zu halten, galt es die Gruppe der als Randständige ausgemachten „Gemeinschaftsfremden“ und „Dauerversager“ gemäß des Medizinstatistikers Siegfried Koller und des sogenannten „Rassehygienikers“ Heinrich Wilhelm Kranz (Aly 2025. S. 314) kleinzuhalten und einer „Sonderbehandlung“, nichts weniger als deren Vernichtung zuzuführen. Dazu zählte unter anderem Menschen, die als „Arbeitsscheue“ galten, also Menschen, worauf Wolfang Benz hinwies, die dem vorherrschenden Programm der Arbeit nicht nachkommen wollten oder es aufgrund ihres Alters oder ihrer Lebensweise nicht konnten. Zwar wurde das sogenannte „Gemeinschaftsfremdengesetz“ nie verabschiedet. Die vorhandenen Entwürfe zeigen jedoch, dass de facto danach gehandelt worden war, wie der Fall von Karl D. zeigt. Die Bevölkerungsgruppe, die Minderheit der Sinti und Roma war davon besonders betroffen. Das galt für ältere wie auch für junge Männer, wie der Fall von Christian K. zeigt. Er wurde 1917 in Saarbrücken geboren. Er war einmal wegen Diebstahls zu drei Wochen Gefängnis verurteilt worden, als er im Februar 1941 einer Kontrolle der Kriminalpolizei Dortmund auffiel und er keinen Urlaubsschein vorweisen konnte.

Christian K. wurde wegen einer kleinen Haftstrafe und einem fehlenden Urlaubsschein in das Konzentrationslager Natzweiler eingewiesen.

Häftlingspersonalkarte des KZ Natzweiler von Christian K. Quelle. Arolsen Archives, DocID_6379448

Als Sinto wurde er als „ASO-Zig“ stigmatisiert und aufgrund von „Arbeitsscheu“ (ASR) am 11. April 1941 in das Konzentrationslager Dachau eingewiesen. Am 5. Juli 1941 wurde er nach Buchenwald verlegt und von dort am 24. Oktober 1941 in das Konzentrationslager Natzweiler überstellt. Es war nichts weniger als ein systematischer Mord in Etappen, dem der ein Meter und 62 Zentimeter große junge Mann am 22.Dezember 1941 zum Opfer fiel. Er wurde mit „Frostwunden an beiden Füßen“, die ihm „starke Schmerzen, besonders beim Auftreten“ verursachten. Der medizinische Bericht der Krankenstation sprach konkret von „an den Zehen beider Füße aufgebrochene eiternde Frostwunden in Pfennig- und Markstückgröße“ (AA, DocID_3191368). Mit diesem Befund kam er am 11. Dezember 1941 auf die Krankenstation des Konzentrationslager Natzweiler. Doch das, vermerkt der Bericht, war nicht der Hauptgrund für seinen körperlichen Zustand. Es heißt: „Der Patient ist sehr ermattet und entkräftet.“

Bericht des Lagerarztes des Konzentrationslagers Natzweiler über den Tod von Christian K.

Am 22. Dezember 1941 erlag Christian K. seinen Verletzungen. Quelle: Arolsen Archives, DocID_3191371

Diese Feststellung ist zynisch, da Christian K. als KZ-Häftling aufgrund der KZ-Haft und der Zwangsarbeit in einem erbärmlichen Zustand war und gerade einmal, wie auch dem Krankenbericht hervorging, 47,5 Kilogramm wog (AA, DocID_1319365). Die Wunden wurden, zumindest sagt das Bericht, versorgt, aber der Allgemeinzustand von Christian K. verbesserte sich nicht mehr. Er verstarb am Ende seiner Kräfte nach monatelangen Qualen mit erfrorenen, entzündeten Füßen, auf denen er nicht mehr laufen konnte, am Nachmittag des 22. Dezember 1941 im Konzentrationslager Natzweiler. Er wurde 24 Jahre alt.

Der Vorwurf des „von einer verbrecherischen Neigung bezeugenden Einbruchsdiebstahls“

Was aus dem Jugendlichen Hermann L.  wurde, bleibt offen. Seine Spur verlor sich im Konzentrationslager Neuengamme vier Jahre, nachdem er in Nalbach bei Saarwellingen im Jahr 1938 im Alter von 17 Jahren wegen Diebstahls von einer Weckeruhr, einem Paar Sandaletten und zwei Fahrrädern, die er wenige Kilometer zurückließ, zu 15 Wochen Haft verurteilt worden war (LA SB, JVA.SB 15374). Dazu kam, nachdem er im Spritzenhaus Nalbach in Arrest gekommen war, fliehen wollte. Dabei kam es zu einem Handgemenge mit einem als Aufseher abgeordneten Polizeiwachtmeister, wobei der ältere Mann leicht verletzt wurde. Auch die Flucht wurde Hermann L. zur Last gelegt, ungeachtet, dass Flucht straffrei ist. Denn der Gesetzgeber erkennt die Flucht als natürlichen Freiheitstrieb des Menschen an. Jeder hat in Recht auf Freiheit. Das gilt seit dem Jahr 1880. Doch das galt nicht für Hermann L. Nach seiner Verhaftung am 22. Januar 1938 wurde er am 9. April desselben Jahres wegen Fahrraddiebstahls, schweren Diebstahls, Sachbeschädigung und Widerstandsleistung zu 15 Wochen Haft mit anschließender Überweisung in ein Erziehungsheim verurteilt. Auf dem Strafbefehl wurde auch vermerkt, dass „die Unfruchtbarmachung“ beantragt worden war.

Der 17-jährige Hermann L. fällt der NS-Rassenideologie zum Opfer

Für den jungen Sinto Hermann L. wurde die „Unfruchtbarmachung“ angeordnet. Quelle: LA SB, JVA.SB 15374

Die totale Entmenschlichung des jungen Mannes setzte sich in der Urteilsbegründung fort. Darin hieß es, dass es strafmildernd war, dass er jugendlich war und ohne Eltern lebte, auch, dass es sich bei ihm „um keinen deutschen Jungen, sondern um einen fremdrassigen, heimat- und wohnungslosen Menschen handelt, der niemals die Schulung eines deutschen Jungen durchgemacht hat.“ (LA SB, JVA.SB 15374) Hermann P. wurde in Pelm bei Gerolstein geboren und war ein deutscher Junge, dem man, weil er der seit Jahrhunderten in Deutschland etablierten Minderheit der Sinto und Roma im Nationalsozialismus genau dies absprach.

„Gemeinschaftsfremd“ zu sein, bedeutete Ausgrenzung, Verfolgung und Verhaftung

 Nach seiner Zeit im Erziehungsheim wurde er am 25. Februar 1939 in das Konzentrationslager Dachau eingewiesen, versehen mit dem Kürzel „AZR“ (=Arbeitszwang Reich) und damit als sogenannter „Asozialer“ stigmatisiert.  Nach mehr als zwei Jahren wurde er am 15. August 1942 in das Konzentrationslager Mauthausen überstellt. Dort erkrankte er an einer Rippenfellentzündung. Die für die Diagnose notwendige Punktion mit einer Nadel in den erkrankten Bereich erfolgte ohne vorherige Betäubung, wie aus den im Archiv der Gedenkstätte Konzentrationslager Dachau enthaltenen Akten hervorgeht. Am 6. April 1942 wurde er erneut in das Konzentrationslager Dachau gebracht und von dort in das Außenlager Feldafing am Starnberger See verlegt. Von dort gelangte er am 17.09.1942 mit 15 anderen, darunter mehrere Sinto-Männern, die als Ziegelarbeiter und Maurer eingesetzt wurden in das Konzentrationslager Neuengamme in Hamburg-Bergedorf, so die Auskunft von Christian Römmer, Archiv der Gedenkstätte Konzentrationslagers Neuengamme. Dort wurde Hermann L. mit der Häftlingsnummer 10130 registriert. Danach verliert sich die Spur des damals 21-jährigen Mannes, der wegen eines geringfügigen Deliktes in das Strafsystem des Nationalsozialismus geriet. Laut Christian Römmer taucht der Name von Hermann L. nicht in den bis Ende 1944 geführten Totenbücher des Konzentrationslagers Neuengamme auf. Auch in der im Herbst 1944 angelegten Häftlingskartei des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes (WVHA), das für die Ausbeutung der KZ-Häftlinge verantwortlich war, war er nicht verzeichnet. Was geschah dann mit Hermann L.? Dazu Christian Römmer: „Insofern ist es am wahrscheinlichsten, dass er zwischen 1942 und 1944 noch einmal weiter in ein anderes Lager transportiert wurde, aber hier fehlt jeder Nachweis.“
Auch Hermann L., sofern er die Lagerhaft überlebt hat, wurde nie für die erlittenen Qualen und die von ihm geleistete Zwangsarbeit entschädigt oder als „Opfer des Nationalsozialismus“ anerkannt. Das war für die Opfergruppe der sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ erst im November 2020 der Fall. Die Angehörigen der Minderheit der Sinti und Roma war als „Opfer des Nationalsozialismus“ erst 1982 anerkannt worden. Ihre Stigmatisierung und Verfolgung gingen nach 1945 weiter. Erst 1995 wurden die Sinti und Roma als Minderheit anerkannt.

Literatur

  • Götz Aly: Wie konnte das geschehen? Deutschland 1933 bis 1945. Frankfurt/M. 2025. S. 314ff.
  • Wolfgang Benz: Deutsche Gesellschaften und ihre Außenseiter. In: Gemeinschaftsfremde. Zwangserziehung im Nationalsozialismus, in der Bundesrepublik und der DDR. Berlin 2016. S. 9-31.