Der Fall Alfons B. zeigt was es bedeutet, wenn die Faktoren Empathie und Pragmatismus auf den Faktor Ideologie treffen.

Der 45-jährige Elektriker Alfons B. war von seinem Arbeitgeber, einem Elektrobetrieb in Rohrbach bei St. Ingbert in ein Wohnhaus in der Gemeinde Mandelbachtal geschickt worden. Dabei äußerte sich offenbar kritisch über die NSDAP und deren Funktionäre im Beisein einer Frau, die ein Parteiabzeichen trug. Er soll gesagt haben: „Die Bonzen müssten alle aufgehängt werden.“ Zudem soll er sich negativ über deren Verhalten geäußert haben. Daraufhin wurde er wegen „Vergehen gegen das Heimtückegesetz“ am 4. April 1944 im Gestapo-Lager Neue Bremm inhaftiert. Wie es dazu kam, schildert die Frau, in deren Gegenwart er sich geäußert hatte. Maria S. beschrieb den Vorfall in einer Eidesstattlichen Versicherung, die der Landesentschädigungsakte von Alfons B. beiliegt (LA SB LEA 11566, Blatt 6): Auf Nachfrage des Ortsgruppenleiters der NSDAP, einer Person namens K., zum Thema „Ungünstige Stimmung unter der Bevölkerung“ erzählte sie von dieser Begegnung. Sie verstand es als Beispiel. Daraufhin erstattete der Ortsgruppenleiter Anzeige gegen Alfons B. Sie selbst hätte nie die Absicht gehabt, den Handwerker anzuzeigen, schildert Frau S. den Vorfall in ihrer nach 1945 abgegebenen Eidesstattlichen Versicherung.

Zeuginnenaussage von Eva-Maria S.

Eva-Maria S. entlastet in ihrer Eidestattlichen Erklärung den Elektriker Alfons B. von dem Vorwurf eines Heimtücke-Vergehens.


Danach wurde sie zur Polizei bestellt, um eine ihr vorlegte Aussage zu unterzeichnen. Sie drängte jedoch auf mehrfache Änderungen, da die Aussage nicht ihrer Wahrnehmung entsprochen hatte. Die Änderungen wurden vorgenommen, so die Zeugin. Bei der Verhandlung vor dem Sondergericht in Saarbrücken am 17. November 1944 trat sie als Zeugin auf und entlastete den Angeklagten. Außerdem sprach sie wegen des Falls mit Landgerichtspräsident Dr. Kotten. Der Angeklagte wurde am selben Tag aus der U-Haft entlassen. Alfons B. hatte vom 4. April bis zum 13. April 1944 im Lager Neue Bremm zugebracht. Danach kam er in U-Haft im Gefängnis Lerchesflur in Saarbrücken bis zum Prozess am 17. November 1944, worauf er entlassen worden war. Am 3. Dezember nahm er wieder seine Tätigkeit in dem Betrieb in Rohrbach auf, in dem er seit 1941 angestellt war.

Der Fall zeigt, dass Aussagen, wie die von Alfons B. „keine belanglosen Unmutsäußerungen“, so in der Darstellung von Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul, waren, so die Einordnung von Julia Hörath (Hörath 2017, 95).

Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten Reich. Band 2 der Reihe "Widerstand und Verweigerung im Saarland 935-1945"

Zweiter Band der Reihe „Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935-1945“

Das waren sie, so ihre Erklärung nicht, weil andere gegenüber den Verurteilten ihr Mitleid bekundeten. Die Zeuginnenaussage von Frau S. gibt dafür ein Beispiel. Sie half ihm ein weiteres Mal, als er die Anerkennung als Opfer der Nationalsozialismus beantragte. Alfons B. war seit 1927 Mitglied der katholischen Zentrumspartei. Außerdem war er am Tag vor der Abstimmung über die Rückgliederung des Saargebietes an das Deutsche Reich und damit an NS-Deutschland vom 13. Januar 1935 der sich dafür einsetzenden Deutschen Front beigetreten. Auch war er Mitglied in einer Kapelle der SA. Daher wurde, so ein Vermerk in seiner Entschädigungsakte aus dem Jahr 1947, sein Status als „Opfer des Nationalsozialismus“ von den der Kommunistischen Partei angehörenden Ausschussmitgliedern in Zweifel gezogen. Jedoch wurde angeführt, dass sein Aufenthalt im Gestapo-Lager Neue Bremm und im Gefängnis Lerchesflur einen „politischen Charakter“ hatte und damit auf Verfolgung durch das NS-Regime zurückzuführen war. Er wurde deshalb anerkannt und entschädigt.

Literatur

  • Julia Hörath: „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933 bis 1938. Göttingen 2017.
  • Klaus-Michael Mallmann, Gerhard Paul: Reihe „Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935-1945. Hg von Hans-Walter Herrmann. Band 2: Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten Reich. Bonn 1991.
  • Elisabeth Thalhofer: Das Lager Neue Bremm. Terrorstätte der Gestapo. St. Ingbert 2002. Erw. Neuauflage 2019.

Literatur:

  • Julia Hörath: „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933 bis 1938. Göttingen 2017. 
  • Cord Pagenstecher: Arbeitserziehungslager Fehrbellin. Zwangsarbeiterinnen im Straflager der Gestapo. Hrsg. von der Berliner Geschichtswerkstatt (Brandenburgische Historische Hefte der Brandenburgischen Landeszentrale für Politische Bildung, 17) Potsdam 2004.  
  • Elisabeth Thalhofer: Das Lager Neue  Bremm. Terrorstätte der Gestapo. St. Ingbert 2002. Erw. Neuauflage 2019. 
  • Bernward Dörner: „Heimtücke“: Das Gesetz als Waffe. Kontrolle, Abschreckung und Verfolgung in Deutschland 1933-1945. Paderborn u.a. 1998. 
  • Klaus-Michael Mallmann, Gerhard Paul: Reihe „Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935-1945. Hg. von Hans-Walter Herrmann. Band 2: Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten Reich. Bonn 1991.