Wenn Zeugen einen Beschuldigten nicht ent-, sondern belasteten, dafür steht der Fall von Peter F. aus Saarlouis-Fraulautern.

Peter F. kam direkt vom Gestapo-Lager Neue Bremm in das Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er wenige Monate später verstarb. Der 56-jährige aus Saarlouis-Fraulautern brachte sich durch eine Äußerung über fehlenden Zucker für den Kaffee in große Schwierigkeiten, die er mit seinem Leben bezahlte. Er war seit 1911 als Wachmann und zuvor als Hüttenarbeiter auf der Dillinger Hütte beschäftigt gewesen. Der Vorfall, der zu seiner Verhaftung führte, ereignete sich mehrere Wochen davor. Beim täglichen Kaffeeholen in der Kantine beschwerte er sich darüber, dass aufgrund des Krieges keinen Zucker mehr gab. Daraufhin soll er gesagt haben: „Es wäre besser, wir würden den Krieg verlieren und hätten unseren Zucker im Kaffee.“ (Quelle: LA SB, LEA 11956, Blatt 14, Aussage Peter T., 10.02.1949). Dieses Gespräch wurde dem Oberwachmann M. gemeldet. Offenbar geschah erst einmal nichts, jedoch sei  laut Akte F. versetzt worden. Dann kam es zu einem weiteren Vorfall, der zu einem weiteren Streit mit dem Oberwachmann führte. F. hatte zur Zwangsarbeit in der Dillinger Hütte eingesetzte Kriegsgefangene nach der Schicht zum Bahnhof zu begleiten. Danach ging er direkt nach Hause, da bereits Schichtende war, anstatt noch einmal ins Werk zurückzukehren. Daraufhin bestellte ihn der Oberwachmann ein, und es kam zum Streit. (Quelle: LA SB, LEA 11956, Blatt 15, Aussage Johann H., 15.02.1949) Der Oberwachmann meldete nun beide Vorfälle der Direktion, worauf F. am 22. Mai 1944 verhaftet wurde.

Auszug aus der Landesentschädigungsakte von Peter F.

Auszug aus der Schilderung der Ehefrau von Peter F. über den Vorgang, der zu seiner Verhaftung führte.


Er kam vom Dillinger in das Saarbrücker Gefängnis, wo er bis zum 30. Mai 1944 verblieb. Die Gestapo verhängte Schutzhaft, und er wurde am 2. Juni 1944 ins Gestapo-Lager Neue Bremm überführt. Am 4. September gelangte er mit den 54 Franzosen, die aus Paris im Lager waren und Nikolaus A. in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Er erhielt die Häftlingsnummer 97207 und kam in Block 29 unter (Quelle LA SB, LEA 11956, Blatt 10), wie aus einem Brief an seine Ehefrau vom 18. Januar 1945 hervorgeht. Er bat um Zigaretten und warme Kleidung. Er war sein letztes Lebenszeichen. Peter F. galt seitdem als verschollen.

Zu Recht in ein Konzentrationslager eingewiesen?

Als eine Ehefrau 1947 um die Anerkennung ihres Mannes als „Opfer des Nationalsozialismus“ einkam, damit sie Witwenrente erhielt, wurde ihr Antrag zuerst abgelehnt. Obschon es in ihrem Antrag hieß, dass er durch „politische Redensarten gegen Hitler“ an seinem Arbeitsplatz verhaftet worden sei, fiel das Urteil vom 27. September 1947 anders aus:
„Der Antragsteller gehörte vor 1935 keiner politischen Partei an: er war Wächter von 1911-1944 bei der Dillinger Hütte; einem Antifaschisten wäre es nicht gelungen, diesen Posten zu behalten. Er hat anscheinend im Mai 1944 unvorsichtig geplaudert kam darauf ins KZ Sachsenhausen. Eine politische Note liegt nicht vor. Antrag wird nicht befürwortet.“ Das Urteil wurde am 18. März 1949 und die Ehefrau des im Konzentrationslager Sachsenhausen verstorbenen Peter F. erhielt eine Entschädigung. Mittlerweile war Peter F. für tot erklärt worden. Als Todesdatum wurde der 28. Januar 1945 festgesetzt.

Die Landesentschädigungsakte von Peter F. enthält seinen letzten Brief aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen.

Der Brief vom 18. Januar 1945 an seine Ehefrau war das letzte Lebenszeichen von Peter F.


Hier zeigt sich abermals, wie die Faktoren Willkür, Ideologie mit Pragmatismus eine Verbindung eingehen, die Peter F. sein Leben kosteten. Da er bereits ein älterer Arbeitnehmer war, bot sich hier die Gelegenheit, so zynisch es klingt, für den Vorgesetzten, einen unliebsam und aufgrund seines Alters in seinen Leistungen eingeschränkten Kollegen aus dem Arbeitsprozess zu entfernen. Da er keine Fürsprecher besaß, war der weitere Fortgang bei der Auflösung des Lagers Neue Bremm besiegelt. Man steckte ihn in einen Transport, um ihn loszuwerden. Dass ihm seine Tätigkeit als Wachmann in der Dillinger als Beweis für seine systemkonforme Haltung und daher seine Rede vom fehlenden Zucker als „unvorsichtig geplaudert“, aber nicht als politische Aussage gelesen wurde, erweist sich nicht weniger von Willkür und Ideologie bestimmt.

Literatur:

  • Julia Hörath: „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933 bis 1938. Göttingen 2017. 
  • Cord Pagenstecher: Arbeitserziehungslager Fehrbellin. Zwangsarbeiterinnen im Straflager der Gestapo. Hrsg. von der Berliner Geschichtswerkstatt (Brandenburgische Historische Hefte der Brandenburgischen Landeszentrale für Politische Bildung, 17) Potsdam 2004. 
  • Elisabeth Thalhofer: Das Lager Neue Bremm. Terrorstätte der Gestapo. St. Ingbert 2002. Erw. Neuauflage 2019.
  •  Bernward Dörner: „Heimtücke“: Das Gesetz als Waffe. Kontrolle, Abschreckung und Verfolgung in Deutschland 1933-1945. Paderborn u.a. 1998.
  •  Klaus-Michael Mallmann, Gerhard Paul: Reihe „Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935-1945. Hg von Hans-Walter Herrmann. Band 2: Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten Reich. Bonn 1991.