Auf die Verhaftung in Frankreich und die Verschleppung ins Saarland folgte (nicht) zwangsläufig Gefängnis- oder Lagerhaft.

Der Oberreichsanwalt beim sogenannten Volksgerichtshof entschied, wo ein Fall von Hoch- und Landesverrat verhandelt wurde. Das konnte am Volksgerichtshof sein oder an einem Oberlandesgericht (OLG). Das für das Saarland zuständige OLG war zuerst in Hamm und später in Stuttgart. 1936 wurde in Saarbrücken ein Sondergericht etabliert. Dies stand seitdem unter der Leitung des Landgerichtsdirektors und Leiter der Rechtsabteilung der saarländischen NSDAP, Dr. Karl Freudenberger. In dessen Zuständigkeit fielen neben, Brandstiftung, Sabotage, Aufruhr und schwerer Landfriedensbruch, Heimtücke, die sogenannte „Volksschädlingsverordnung“, Rundfunkverbrechen, Wehrkraftzersetzung auch Hoch- und Landesverrat. Das Sondergericht konnte für Hoch-und Landesverrat die Todesstrafe verhängen. Diese Anklage richtete sich vor allem gegen die von den Nationalsozialisten ausgemachten politischen Gegner, Sozialdemokraten und Kommunisten. Die Richter verstanden sich als Politiker. Deren erklärtes Ziel war es, „Gegner des Dritten Reiches“ (Paul, 1988, S. 43)

Titel des Bandes „Das zersplitterte Nein“ von Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul

und damit Kommunisten und Sozialdemokraten zu vernichten. Dementsprechend war es ausgeschlossen, dass die Verurteilten Rechtsmittel gegen ein Urteil einlegen konnten. Das heißt, keines der gefällten Urteile konnte angefochten und durch eine höhere gerichtliche Instanz überprüft werden. Dazu kam, dass die Auslegung des Anklagepunktes „Hoch- und Landesverrat“, auf den seit 1939 die Todesstrafe stand, ins französische Exil geflohenen Status quo-Befürworter während des Abstimmungskampfes 1934 und NS-Gegner aus dem Saarland zutraf. Die meisten hatten in einem Arbeitskommando der oder als Soldat in der Französischen Armee gedient, so dass eine Auslegung im Hinblick auf die Tätigkeit in einem mit Ausländern besetzten Arbeitskommando, einem sogenannten Groupement  des Travailleurs Étrangers (GTE) oder auch Compagnie des Travailleurs Étrangers (CTE) Landesverrat bedeutete. (Paul, 1988, S.44) Auch diejenigen, die in einer Flüchtlings- oder Exilorganisation nach ihrer Flucht nach Frankreich tätig waren, sahen sich dieser Anklage ausgesetzt, als sie von der Gestapo verhaftet und nach Deutschland zusammen mit den ebenfalls verhafteten Männern des französischen Widerstands gebracht wurden.
Auch deren Familien wurden ausgewiesen, aber nicht inhaftiert. Die Ehefrauen mussten nach Rückkehr in das Dorf oder die Stadt, aus der sie geflohen waren, bei der Polizei melden und standen unter Beobachtung der Gestapo. Es gab auch Familien, die nach der Verhaftung und Verschleppung des Vaters in Frankreich bleiben konnten. Für die meisten dieser Männer war Saarbrücken die erste Station auf deutschem Boden und der Ort an dem sie und ihre französischen Mithäftlinge eintrafen, war ihnen jedoch neu: Das im Juli 1943 in Betrieb genommene Gestapo-Lager Neue Bremm.

Ansicht des Lagers Neue Bremm von der gegenüberliegenden Straßenseite um 1940: Diese findet sich auch auf der Internetseite Gestapo-Lager Neue Bremm.

Ansicht des Lagers Neue Bremm von der gegenüberliegenden Straßenseite um 1940

Hoch- und Landesverrat und das Gestapo-Lager Neue Bremm

Nach 1940 stiegen die Belegungszahlen in den Saarbrücker Gefängnissen, Lerchesflur-Gefängnis und Alexander-Gefängnis in der Alexanderstraße. Ein Grund dafür war, dass das Waffenstillstandsabkommen mit Frankreich vorsah, dass Frankreich dort lebende NS-Gegner auf Verlangen auslieferte. Die Besetzung der bis dahin von der Regierung in Vichy verwalteten sogenannten „Freien Zone“ oder „Südzone“ am 11. November 1942 verschärfte die Situation. Im Juli 1943 wurde das Gestapo-Lager Neue Bremm in Betrieb genommen. Davor wurden im seit 1940 als SS-Sonderlager und Konzentrationslager betriebenen vormaligen RAD-Lager Hinzert die aus Frankreich verschleppten Saarländer, aber auch wegen „Arbeitsvertragsbruch“ oder „Arbeitsbummelei“ bezichtige Arbeiter aus dem Saarland inhaftiert. Hinzert nahm voraus, wozu sich das Gestapo-Lager Neue Bremm entwickeln sollte: Es war ein Lager mit vielen Funktionen. Es diente als Schutzhaft- sowie Durchgangslager für die Frauen und Männer des französischen Widerstands auf dem Weg in die Konzentrationslager.

Luftaufnahme des Gestapo-Lagers Neue Bremm vom 25. Februar 1945

Luftaufnahme des Männer- und Frauenlagers Neue Bremm am 25, Februar 1945

Für im Saarland eingesetzte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Osteuropa war es Arbeitserziehungs- und Straflager wie auch für die im Nachgang des Stauffenberg-Attentats vom 20.Juli 1944 verhafteten früheren Funktionär:innen der Kommunistischen oder Sozialdemokratischen Partei. Ebenso fanden sich hier Untersuchungshäftlinge, in Geiselhaft gehaltene Menschen. Die verschiedenen Haftformen, die an diesem Ort vollzogen wurden, bezeugen, wie das Strafsystem im Nationalsozialismus anstelle des Gefängnisses und damit eines halbwegs noch nach Rechtsnormen funktionierenden Institution diese sich zu den Lagern hin öffnete. (siehe dazu: Mallmann/Paul, 1991, S. 318; Paul, 1988, S. 44). Hiermit waren rechtsfreie Räume entstanden, in denen Maßnahmen vollzogen wurden und in denen Willkür, Empathie, Ideologie und Pragmatismus wirkten.

Literatur

  • Gerhard Paul: Das nationalsozialistische Herrschaftssystem im Saarland. In: Zehn statt tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar 1935-1945. Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums Saar im Saarbrücker Schloss. Hg. Stadtverband Saarbrücken. Saarbrücken 1988. S. 37-48.
  • Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann: Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten Reich. Unter Mitarbeit von Hans-Henning Krämer. Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935-1945. Herausgegeben von Hans-Walter Herrmann. Band 2. Bonn 1991.
  • Max Hewer: Von der Saar zum Ebro. Saarländer als Freiwillige im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939. Saarbrücken 2016.