Was geschieht, wenn Pragmatismus als Wirkfaktor den Umgang mit dem Vorwurf der Landesverrats im Hinblick auf Alter, Arbeitskraft und Wehrfähigkeit bestimmt, zeigt das Beispiel von Johann Z. aus Schiffweiler. 

Der Bergmann Johann Z. aus Schiffweiler gehörte der Einheitsfront an und stritt für den Erhalt des Status quo im Saargebiet. Das hieß, er engagierte sich im Vorfeld der Abstimmung vom 13. Januar 1935 über den Verbleib des Saargebiets dafür, dass das Saargebiet weiterhin unter der Verwaltung des Völkerbundes bleiben sollte.

Kundgebung für den Erhalt des Status quo im Saargebiet im Januar 1935

Enttäuschte Hoffnung: Kundgebung für den Erhalt des Status quo im Saargebiet im Januar 1935. Quelle: LA SB, Slg Foto-135

Das hatte der 1920 verabschiedete Vertrag von Versailles im Nachgang des Ersten Weltkriegs festgelegt. Frankreich als einer der Siegermächte des Ersten Weltkrieges hatte um die Standorte von Kohlegruben, Stahlwerken und der dazugehörigen Arbeitersiedlungen ein Territorium abgesteckt. Die so entstandenen 2.000 Quadratkilometer Fläche trugen fortan die Bezeichnung „Saargebiet“. Die politische Verwaltung des Landes oblag einer international besetzten Regierungskommission. Die Gruben- und Hüttenwerke standen unter französischer Verwaltung.

Quer durch alle Parteien und Gruppierungen im Saargebiet der 1920er Jahr herrschte die Übereinkunft, dass man zu Deutschland gehörte und dies mit der 15 Jahre nach Verabschiedung des Versailler Vertrags angesetzten Abstimmung auch bekunden wollte. Jedoch änderte sich dies mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland am 30. Januar 1933.

Mehrere hundert politisch Verfolgte, Mitglieder der Gewerkschaften, der SPD und der KPD, Journalistinnen und Journalisten, darunter viele Funktionäre und Mitglieder des aufgelösten Reichstags kamen in das damals noch freie Saargebiet, um dort den Widerstand gegen Hitler zu organisieren. Dazu bildeten sie mit den Mitgliedern von Gewerkschaften, der SPD und KPD an der Saar die Einheits- oder Freiheitsfront, nach dem im Juni 1934 das Datum der Abstimmung auf den 13. Januar 1935 festgelegt worden war. Zwar war die NSDAP an der Saar verboten, aber die Partei unterstützte von außerhalb massiv die Bildung der sogenannten „Deutschen Front“. Es fanden Kundgebungen beider Gruppierungen statt.

Stimmzettel für die Abstimmung vom 13. Januar 1935

Drei Optionen standen am 13. Januar 1935 für die rund 800.000 Abstimmungsberechtigten im Saargebiet zur Wahl.

Es gab gewalttätige Zusammenstöße. Ein Klima von Angst und Terror begleitete die Monate vor der Abstimmung. Am 13. Januar 1935 entschieden sich 90,8 Prozent der Abstimmungsberechtigten für die Rückgliederung an Deutschland und damit den Anschluss an das NS-Regime. Diejenigen, die das verhindern wollten, waren nun der politischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Daher flohen viele nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses am 15. Januar oder wenige Tage später allein oder mit ihren Familien ins nahe Frankreich. Dies ermöglichte nicht zuletzt, das von dem damals in Saarbrücken wirkenden Rabbiner Friedrich Schlomo Rülff mit dem Völkerbund ausgehandelte „Römische Abkommen“. Dieser nach dem Ort seiner Ratifizierung am 4. Dezember 1934 in Rom benannte Vertrag beruf sich auf den in dem Vertrag von Versailles niedergelegten Minderheitenschutzes. Dadurch war es den jüdischen Saarländerinnen und Saarländern möglich, das Saargebiet ohne Einschränkungen mit ihrem gesamten Besitz bis Ende Februar 1936 zu verlassen. Diese Möglichkeit galt auch für die Befürworter des Status quo, die nun der politischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten preisgegeben waren.

Vom Status quo-Befürworter zum Exilant und Prestatär

Darunter war der 31 Jahre alte Johann Z. Wie andere auch musste er in einem Auffanglager in Foix bleiben, bis er mit anderen Geflüchteten wenige Wochen später in den Süden Frankreichs gebracht wurde. Da es sich vielfach um Bergmänner, Hüttenarbeiter, Schlosser, Eisenflechter oder Schreiner handelte, fanden sie Arbeit in Bergwerken und Fabriken in Südfrankreich.

Titel des Bandes „Das zersplitterte Nein“ von Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul

Nachdem dem Beginn des Zweiten Weltkriegs und vor allem seit Überfall der Wehrmacht auf Frankreich im Mai 1940 galten die geflohenen Saarländer als „Feindliche Ausländer“. Die Männer wurden interniert und als „Prestatäre“ in mit Ausländern besetzten Arbeitskommandos eingegliedert. Diese zählten zur Französischen Armee und dementsprechend wurden die Facharbeiter gering besoldet. Von 1941 bis Februar 1943 arbeitete Johann Z. zusammen mit anderen Saarländern auf der Grube in Carmaux. Nach der Besetzung der unbesetzten Zone in Südfrankreich am 11. November 1942 wurden nach und nach die dort lebenden NS-Gegner aus dem Saarland von der Gestapo verhaftet. Er kam über Gefängnisaufenthalte in Toulouse, Paris und Trier am 24. März 1943 nach Saarbrücken und stand als Emigrant unter dem Verdacht der Heimtücke. (Quelle: LA SB, LEA 13144, LEA 13145)

Ein Aufenthalt im Lager Neue Bremm ist für die Zeit vom 11. (19.) August bis zum 28. August  1943 nachgewiesen. Dort hatte er, wie aus seinem Antrag auf Entschädigung hervorgeht, unter dem Terror des Wachpersonals zu leiden. Er wurde vom Wachpersonal in das Löschwasserbecken hineingestoßen. Die Kleidung musste dann am Körper trocken, wovon er gesundheitliche Schäden davontrug. Danach kam er direkt ins Gefängnis Lerchesflur, wo er bis 21. September 1943 verlieb. Ob er vor ein Sondergericht kam, oder ob er entlassen wurde, war bislang nicht nachzuweisen. Jedoch wurde er am 18. Dezember 1943 zur Wehrmacht einberufen. Er kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde am 31. Mai 1946 in Tuttlingen entlassen.

Gedenktafel in deutscher Sprache auf der Gedenkstätte Gestapo-Lager Neue Bremm

Fast 40 Jahre nach Errichtung der ersten Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Neue Bremm: Am 8. Mai 1985 wurde erstmals eine Gedenktafel in deutscher Sprache auf der Gedenkstätte Gestapo-Lager Neue Bremm niedergelegt. Quelle: LpB Saarland

Johann Z. erwies sich nach seiner Verhaftung und Verschleppung nach Saarbrücken als 39-jähriger ungeachtet seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus als nützlich für den Arbeitsprozess oder die Kriegshandlungen. Ideologie und Pragmatismus gingen hier eine Verbindung ein. Auch ein politischer Gegner hatte einen Wert: Seine Arbeitskraft und seine Wehrfähigkeit überwogen angesichts der angespannten Kriegslage im Jahr 1943. Offenbar war er den Nationalsozialisten als Soldat nützlicher als Zwangsarbeiter in einem Konzentrationslager.

Literatur: 

  • Julia Hörath: „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933 bis 1938. Göttingen 2017. 
  • Cord Pagenstecher: Arbeitserziehungslager Fehrbellin. Zwangsarbeiterinnen im Straflager der Gestapo. Hrsg. von der Berliner Geschichtswerkstatt (Brandenburgische Historische Hefte der Brandenburgischen Landeszentrale für Politische Bildung, 17) Potsdam 2004.  
  • Elisabeth Thalhofer: Das Lager Neue Bremm. Terrorstätte der Gestapo. St. Ingbert 2002. Erw. Neuauflage 2019. 
  • Bernward Dörner: „Heimtücke“: Das Gesetz als Waffe. Kontrolle, Abschreckung und Verfolgung in Deutschland 1933-1945. Paderborn u.a. 1998. 
  • Klaus-Michael Mallmann, Gerhard Paul: Reihe „Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935-1945. Hg von Hans-Walter Herrmann. Band 2: Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten Reich. Bonn 1991.