Widerstand gegen den Nationalsozialismus erfüllte im sogenannten „Dritten Reich“ den Tatbestand des „Hochverrats“ oder „Landesverrats“.

Auf Hoch- und Landesverrat stand im Nationalsozialismus die Todesstrafe oder Haft in einem Gefängnis und anschließende Überweisung in ein Konzentrationslager. Dieser Anklage sahen sich vor allem diejenigen ausgesetzt, die nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Saarabstimmung am 15. Januar 1935 als Befürworter des Status quo und damit als Gegner der nun auch im Saarland an die Macht gekommenen Nationalsozialisten nach Frankreich geflohen waren. Die Lebenswege dieser Männer und ihrer Familien waren meist identisch bis zu dem Zeitpunkt ihrer Verhaftung und Verschleppung nach Deutschland  und der Anklage wegen Hoch- und Landesverrats. Es gab jedoch Unterschiede im Hinblick auf die Verurteilungen. Eine Möglichkeit war die Dienstverpflichtung. Die Chancen auf diesem Weise zu überleben waren größer als die Chancen derjenigen, die als Spanienkämpfer nach ihrem Rücktransport nach Deutschland die Haft in einem Konzentrationslager durchstehen mussten. Andere Saarländer, die wegen Hoch- und Landesverrat angeklagt wurden, erwarteten zuerst Gefängnishaft und im Anschluss daran die Überführung in ein Konzentrationslager oder die Hinrichtung.

Johann B.: Aus Altersgründen keine Überführung in ein Konzentrationslager

Johann B., SPD-Mitglied und Status quo-Befürworter aus Bischmisheim ging 1935 mit 43 Jahren ins Exil nach Frankreich und fand sich dort für mehrere Monate in einem Internierungslager für Saaremigranten in Südfrankreich wieder. Nach der Entlassung fand auch er Arbeit und ein Auskommen. Doch auch er wurde nach Kriegsbeginn 1939 von Frankreich als „Feindlicher Ausländer“ erneut interniert und wieder entlassen. Es folgte, wie bei den meisten nach Frankreich geflohenen Saarländern 1943 die Verhaftung durch die Gestapo, nach dem das Deutsche Reich ab dem 11. November 1942 auch die bis dahin freie Südzone besetzt hatte. Über Paris und Trier kam er in einem Transport mit den Spanienkämpfern aus dem Saarland nach Saarbrücken.

Strafgregister von Johann B.

Johann B.: Verurteilt wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“. Quelle: LA SB, LEA 10847

Johann B. kam zuerst in das Lager Neue Bremm, in dem er bis zum 1. Oktober 1943 blieb, wie er in seinem Antrag auf Entschädigung (LA SB, LEA 10847) berichtet. Danach wurde er in das Gefängnis Lerchesflur überstellt. Er kam am 29. November 1943 unter Anklage auf „Vorbereitung zum Hochverrat“ vor das Oberlandesgericht Stuttgart und wurde zu einem Jahr Haft verurteilt. Von dort wurde er in die Gefängnisse in Mannheim und Ulm überführt, in denen er bis zum 14. Juli 1944 verblieb. Danach wurde er wegen seines Alters und einer Erkrankung nicht in ein Konzentrationslager eingewiesen, sondern entlassen und unter Polizeiaufsicht gestellt.

Erst Lager, dann Gefängnis: Ein Beispiel für den Doppelstaat nach Ernst Fränkel

Zuerst die Haft in einem Lager, dann im Gefängnis, dieser Abfolge der Haftorte ergibt Sinn, da erst nach dem Aufenthalt im Gestapo-Lager Anklage wegen Vorbereitung zum Hochverrat erhoben wurde und damit eine Überstellung in ein Gefängnis erfolgen konnte. Das Gestapo-Lager als nahezu rechtsfreier Raum unter der Herrschaft der Saarbrücker Gestapo bezeugt den nach den Worten des Rechtswissenschaftlers und Politologe Ernst Fraenkel so bezeichneten „Maßnahmenstaat“. Dieser geht auf dessen 1941 in den USA veröffentlichten Publikation über den NS-Staat unter dem Titel The Dual State“ (deutsch: Der Doppelstaat) zurück. Fränkel definierte den „Maßnahmenstaat“ und den „Normenstaat“, die beide zeitgleich im NS-Staat nebeneinander existierten, wie es auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) zitiert wird:
„Unter ‚Maßnahmenstaat’ verstehe ich das Herrschaftssystem der unbeschränkten Willkür und Gewalt, das durch keinerlei rechtliche Garantien eingeschränkt ist; unter ‚Normenstaat’ verstehe ich das Regierungssystem, das mit weitgehenden Herrschaftsbefugnissen zwecks Aufrechterhaltung der Rechtsordnung ausgestattet ist, wie sie in Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakten der Exekutive zum Ausdruck gelangen.“ 
Der „Maßnahmenstaat“ beschreibt ein staatliches Handeln, das nicht an Gesetze und oder eine Verfassung gebunden ist. So konnte die politische Polizei im NS-Staat, die Geheime Staatspolizei (Gestapo) Schutzhaft gegen von ihr ausgemachte Gegner:innen erwirken und sie ohne eine Rechtsgrundlage nach Gutdünken in eines der für diesen im NS-Staat geschaffenen Lager einweisen konnte oder Sondergerichte einberufen, die Urteile nach den Vorgaben der Gestapo oder SS verhängten. Der „Maßnahmenstaat“ missachtete daher bestehende Gesetze. Seine Organe, die NSDAP, die Gestapo und die SS agierten losgelöst von Gesetz und Verfassung.

Faksimile der Skizze des Männerlagers

Ein ehemaliger französischer Häftling im Gestapo-Lager Neue Bremm fertigte eine Lagerskizze an. Diese wurde als Beweismittel im Prozess in Rastatt gegen das Wachpersonal des Lagers vorgelegt. Repro: LpB Saarland

Das hieß nichts weiter als, dass Willkür und Gewalt herrschten. Das zeigte sich an dem NS-Lagersystem, zu dem das Gestapo-Lager Neue Bremm gehörte. Dort galt lediglich eine Polizeigefängnisverordnung aus dem Jahr 1939 als „Richtlinie des Handelns“, wie die Geschichtswissenschaftlerin Elisabeth Thalhofer schreibt (Thalhofer, 2019, S. 48, auch S. 60) Die für das Lager offiziell verwendete Bezeichnung „Erweitertes Polizeigefängnis“ gab hingegen vor, dass hier Verbrecher nach Recht und Gesetz behandelt wurden. Das mit Stacheldraht umzäunte und mit einem Wachturm gesicherte Gestapo-Lager war ein rechtsfreier Raum. Dort herrschte Willkür und Gewalt, ausgeübt von den vom Arbeitsamt dienstverpflichteten Rentnern, die aufgrund ihres Alters oder Krankheiten nicht mehr als Berg- oder Hüttenmänner arbeiten konnten. Sie wurden für ihre Quälereien der Inhaftierten nicht zur Rechenschaft gezogen. Diese Erfahrung grenzenloser Macht enthemmte die Aufseher. Folter und Terror der schutzlosen Häftlinge bestimmte deren Lageralltag.
Der „Normenstaat“ hingegen ist an Zivil- und Strafrecht sowie an eine Verfassung gebunden. Diese gewähren Rechtssicherheit und verhindern, dass Menschen willkürlich verhaftet und verurteilt werden können. Kurz gesagt: Der Normenstaat achtet die Gesetze, während der Maßnahmenstaat sie missachtet. Der NS-Staat war ein, so Fränkel, „Doppelstaat“ und damit Maßnahmen- und zugleich Normenstaat. Der Doppelstaat zeigt sich im Fall von Johann B. und den anderen in diesem Beitrag erwähnten Männern daran, dass sie zuerst im Lager und dann im Gefängnis inhaftiert waren. Von dort aus kamen sie vor Gericht kamen und wurden verurteilt. Doch die Verbüßung der Strafe bedeutete nicht in jedem Fall das Ende der Haft. „Willkür“ und „Ideologie“ wirkten hier gleichermaßen auf den weiteren Haftweg ein, wenn es darum ging, ob auf die die Gefängnishaft erneut Lagerhaft oder die Freilassung erfolgte.

Exil in Frankreich und die Anklage wegen „Landesverräterischer Waffenhilfe“

Der Bergmann Emil L. aus Heiligenwald musste als Gewerkschaftsfunktionär im Bergarbeiterverband und Mitglied der Kommunistischen Partei mit 26 Jahren 1935 das Saarland verlassen, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entkommen. Er gehört zu denjenigen, die 1939 bei Kriegsbeginn in die Französische Armee eintraten. Der Fall von Lorenz H. zeigte bereits, dass dies nicht unbedingt freiwillig geschah. 1943 erfolgte seine Verhaftung in Paris. Im August 1943 kam er in das Lager Neue Bremm und blieb dort nach eigenen Angaben bis zum 22. September (LA SB, LEA 13258) in Haft.

Eidesstattliche Erklärung eines Mithäftlings von Emil L. im Gestapo-Lager Neue Bremm

Aussage eines Mithäftlings von Emil L., die bezeugt, dass beide im Gestapo-Lager Neue Bremm in Haft waren. Quelle: LA SB, LEA 13258

Von dort wurde er in das Gefängnis Lerchesflur überwiesen und blieb dort bis zum 14. Januar 1944 in U-Haft. Am 6. April 1944 kam er wegen landesverräterischer Waffenhilfe vor das 1943 von Berlin nach Torgau verlegte Reichskriegsgericht. Dort wurde er zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Er wurde befreit und verstarb am 25. September 1957.
Jakob W. aus Saarbrücken wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat in Stuttgart vor Gericht gestellt. Er wurde am 22. Februar 1944 zum Tod verurteilt und am 19. April 1944 in Stuttgart im Alter von 37 Jahren hingerichtet (LA SB, LEA 6862). Zuvor hatte er für die KPD illegale Widerstandsarbeit in Schweden, den Niederlanden und dem Reichsgebiet geleistet. Seine Festnahme erfolgte am 19. Januar 1943 in Dudweiler. Er war ein Jahr im Gefängnis Lerchesflur in Haft bevor der Prozess gegen ihn eröffnet worden war. Er war nicht im Lager Neue Bremm gewesen. Auch Peter W. aus Saarbrücken (LA SB, LEA 6862) war nicht im Lager Neue Bremm gewesen, da dieses zum Zeitpunkt seiner Festnahme in Saarbrücken am 19. Januar 1943 noch nicht bestand. Er wurde ebenfalls wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt und von dem Oberlandesgericht Stuttgart zum Tode verurteilt. Die Strafe wurde am 19. April 1944 vollstreckt.

Vater Jakob F. und Sohn Eugen F.: Widerstand, Exil und Haft in Saarbrücken

In einem Fall kam es vor, dass ein Vater und seine beiden erwachsenen Söhne sich zur selben Zeit dieser Anklage ausgesetzt sahen. Alle drei waren als Kranführer, Lkw-Fahrer und der Vater Jakob F. als Bergarbeiter in der Bergbauindustrie im Saarland tätig. Jakob F. ein engagierter linker Sozialdemokrat, der sich der USPD angeschlossen hatte und für kurze Zeit auch zur KPD gewechselt war, war zudem Sekretär des Bergarbeiterverbandes. Sein engagiertes, kompromissloses für die Rechte der Arbeiter eintretendes Lebens als Gewerkschaftssekretär haben Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul (Mallmann/Paul 1989, S. 68-73) ausführlich und voller Respekt nachgezeichnet.

Titel des Bandes „Das zersplitterte Nein“ (1989) von Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul.

Nach dem verlorenen Abstimmungskampf gingen der Vater und die beiden Söhne als Status quo Befürworter und NS-Gegner gemeinsam mit ihren Familien nach Frankreich. Da die geflüchteten Saarländer auf Dauer nicht direkt hinter der Landesgrenze leben durften, mussten auch die drei Familien in den Südosten Frankreichs in die Gemeinde Forcalquier im Departement Alpes-de-Haute-Provence umsiedeln. Das Leben im Exil der drei Familien war wie bei allen anderen, in Frankreich lebenden Saarländern vom Kriegsbeginn maßgeblich bestimmt. Dem Vater blieb aufgrund seines Alters die Internierung im September 1939 erspart, jedoch wurde er im Mai 1940, zur Zeit des Angriffs der Wehrmacht auf Frankreich, als „Feindlicher Ausländer“ für einige Monate interniert. Danach ging das Leben im Exil in der unbesetzten Zone weiter, bis diese am 11. November 1942 von Deutschland besetzt wurde. Vater Jakob F. und Sohn Eugen wurden fast ein Jahr danach an ihrem Wohnort verhaftet. Über Gefängnisse in Nizza und Marseille gelangten sie im Februar 1944 nach Paris, von wo aus sie im März 1944 nach Saarbrücken kamen. Die erste Station war das Gestapo-Lager Neue Bremm. Da die deutschen Gefangenen im Livre Mémorial der Stiftung für die Deportation aus Frankreich nicht verzeichnet sind, kann nur vermutet werden, dass beide in dem 22. Transport aus Paris waren, der am 6. März 1944 Saarbrücken erreichte. In seiner Landesentschädigungsakte gibt Jakob F. (LA SB, LEA 10922) den 3. März 1944 an. Jedoch kam an diesem Tag kein Transport aus Paris in Saarbrücken an.
Sein Sohn Eugen und er mussten zehn Tage im Gestapo-Lager Neue Bremm aushalten, bevor sie in das Gefängnis Lerchesflur überführt wurden. Dann begann ihre Untersuchungshaft, die auf die Anklage wegen Hochverrats folgte. Jakob F. wurde von Saarbrücken nach Frankenthal und von dort nach Bruchsal verlegt. Im Gefängnis in Stuttgart wurde ihm vor dem Oberlandesgericht der Prozess gemacht. Er wurde am 4. September 1944 zu 18 Monaten Haft verurteilt, die er in Ludwigsberg bei Ulm zu verbüßen hatte. Er wurde am 6. April 1945 befreit. Obwohl er 16 Jahre älter war als Johann B. erhielt er im Gegensatz zu diesem keine Haftverschonung. Nach seiner Rückkehr nach Saarbrücken engagierte er sich erneut in der Gewerkschaftsbewegung, in der SPD und in der Arbeiterwohlfahrt. Er verstarb 1965.
Zu diesem Zeitpunkt war seine Ehefrau bereits mehr als zehn Jahre tot. Sie und ihre Schwiegertöchter waren, wie viele Ehefrauen der von der Gestapo in Frankreich verhafteten Männer von diesen Umständen nicht betroffen. Entweder reisten sie bald nach der Verhaftung ihrer Ehemänner zurück ins Saarland. Dort mussten sie sich regelmäßig bei der Polizei melden oder standen unter Polizeiaufsicht. Oder sie blieben in Frankreich zurück. Das war bei den Ehefrauen von Vater Jakob und Sohn Eugen F. der Fall. Beide blieben bis Mai 1944 in Forcalquier und kehrten dann ins Saarland zurück. Am 11. Mai war Eugen F. bei einem Luftangriff auf Saarbrücken in seiner Zelle im Gefängnis Lerchesflur ums Leben gekommen. Er war wie sein Vater am 14. März 1944 aus der Schutzhaft und damit dem Gestapo-Lager Neue Bremm entlassen worden, nachdem ein Haftbefehl erlassen und daher Untersuchungshaft im Gefängnis Lerchesflur angeordnet werden konnte (LA SB, LEA 18695).

Friedrich F., später verhaftet und derselbe Haftweg wie Vater und Bruder, aber verschärft

Der um ein Jahr ältere Bruder Friedrich F. war wie sein Bruder und sein Vater in Forcalquier ansässig. Jedoch lebte er nach eigenen Angaben (LA SB, LEA 16784-16786) seit September in Cahors im Departement Lot, südwestlich gelegen vom Wohnort seiner Angehörigen. Er wurde fast ein halbes Jahr später, am 23. Mai 1944 dort verhaftet und kam über Toulouse nach Paris ins Gefängnis Cherche-Midi. Das Datum der Ankunft in Saarbrücken und im Gestapo-Lager Neue Bremm liegt nicht vor. Im Juni und Anfang Juli 1944 gab es laut Livre Mémorial zehn Transporte aus Paris, die jedoch allesamt mit Frauen besetzt waren. Möglicherweise war er in einem dieser Transporte gewesen.
Bekannt ist laut Landesentschädigungsakte, dass er bis 11. Juli 1944 im Lager Neue Bremm geblieben war und dann, wie bei Bruder und Vater die Schutz- in Untersuchungshaft nach Erlass eines Haftbefehls (LA SB, LEA 16784, Blatt 23, Blatt 52) umgewandelt wurde. Auch ihm warf man Landesverrat vor. Anders als sein Vater musste er ab dem 19. September 1944 seine Strafe im Wehrmachtsgefängnis Fort Zinna in Torgau an der Elbe verbüßen. Ein Grund dafür mag darin gelegen haben, dass er nach Kriegsbeginn in das 203. Alpenjäger-Regiment in Serignan einberufen worden war. Auch hatte er bereits 1938 einen französischen Wehrpass erhalten (LA SB, LEA 16784, Blatt 8). Hier griff erneut der Wirkfaktor der Ideologie, denn der Eintritt in eine feindliche Armee wurde hier, anders als im Fall von Lorenz H. nicht pragmatisch genommen. Hier führte seine Armeezeit in Frankreich zur Haft in dem größten Gefängnis der Wehrmacht, Fort Zinna in Torgau an der Elbe. Dort wurde er am 13.April 1945 befreit und in ein Lazarett in Lübeck überwiesen. Von dort, gibt er in seiner Akte an, ging er über Paris zurück nach Forcalquier, wo seine Ehefrau mit den Kindern immer noch lebte. Die Familie kehrte gemeinsam nach Saarbrücken zurück. Dort verstarb er 1969.

Ein weiteres Beispiel für die Problematik der Angaben: Johann L. aus Niederlinxweiler

Der 1890 in Niederlinxweiler geborene Johann L. engagierte sich als Kommunist für den Erhalt des Status quo und war daher ein Gegner des Nationalsozialismus. Er gehörte dem Landesrat an. Dieser war von der vom Völkerbund eingesetzten Regierungskommission für das Saargebiet einberufen worden. Jedoch hatte dieses Gremium kein politisches Mitwirkungs- und Mitgestaltungsrecht.
Der Eisenbahnobersekretär ging nach dem verlorenen Abstimmungskampf mit seiner Familie ins erzwungene Exil nach Frankreich. Das galt auch für vier seiner fünf Kinder. Der 1923 geborene Sohn Hubert hatten die Eltern der Journalistin Maria Osten übergeben, damit sie ihn mit nach Moskau nahm. Er durchlief dort Schule und Ausbildung und war Teil des Sowjetsystems, jedoch fiel er als junger Erwachsener in Ungnade und wurde ein Opfer des Stalinismus, das viele Jahre der Haft und persönliche Repressionen zu erdulden hatte. Auch die Rückkehr ins Saarland nach 1945 wurde ihm erschwert und mit erneuter Inhaftierung bestraft. Als er 1959 endlich ein Ausreisevisum erhielt, verstarb er wenige Wochen später auf der Krim, wo er mittlerweile mit Frau und Tochter lebte, mit 36 Jahren an einer Blinddarmentzündung (Plettenberg 2018, S. 26-31).
Johann L. wurde laut Angabe in seiner Landesentschädigungsakte (LA SB, LEA 8598) am 12. Oktober 1940 in Angers verhaftet, nach Deutschland zurückgebracht und am 11. Januar 1941 vor dem Oberlandesgericht Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu dreieinhalb Jahren Haft im Gefängnis Siegburg. Man warf ihm illegalen Grenzübertritt, Emigration und Beförderung von antifaschistischem Material aus dem Saargebiet nach Deutschland vor. Auch in seinem Fall galt das fortgeschrittene Alter – Johann L. war damals bereits 54 Jahre – anders als im Fall von Johann B. nichts. Bei Johann L. zeigte sich erneut der Maßnahmenstaat, der sich über Recht und Gesetzt, konkret: über eine verbüßte Strafe hinwegsetzte. Die Wirkfaktoren „Willkür“ und „Ideologie“ griffen und führten zur weiteren Haftzeiten, nun einem Konzentrationslager.

In der Regel: Zuerst Lager, dann Gefängnis. Aber auch: zuerst Gefängnis, dann Lager

Bei Johann B. war auf die Haft aus Altersgründen die Freilassung bzw. die Unterstellung unter Polizeiaufsicht erfolgt. Johann L. hingegen wurde von Siegburg aus von der „Gestapo SB II A 23333/40 am 12.05.1944 nach Polizeigefängnis Saarbrücken überführt.“ (LA SB, LEA 8598, Blatt 10): Hier zeigt sich der umgekehrte Haftweg: zuerst erfolgte eine Verurteilung und Haft in einem Gefängnis. Danach wurde Schutzhaft angeordnet, die zuerst in einem Gestapo-Lager erfolgte. Dabei diente es als Durchgangslager bis die Überführung in ein Konzentrationslager erfolgte.
Sofern es eine Regel oder einen in vielen Fällen zu treffenden Haftverlauf gab, dann ließe er sich wie folgt beschreiben: Zuerst Haft in einem Gestapo-Lager, wie in Saarbrücken bis Anklage erhoben wurde und die Überführung in ein Gefängnis erfolgte. Danach konnte, sofern es nicht zu einer Entlassung kam, die direkte Überstellung in ein Konzentrationslager erfolgen, oder wie im Fall von Johann L. ein Zwischenaufenthalt in einem Gestapo-Lager in seiner Eigenschaft als Durchgangslager in ein Konzentrationslager. Ein Lager wie die Neue Bremm erwies sich in diesen Fällen als Durchgangsort.
Johann L. blieb im Lager Neue Bremm bis zum 6./7. August 1944. In seiner Akte (LEA 8598, Blatt 16) findet sich ein ITS-Bogen. „ITS“ ist die Abkürzung für den International Tracing Service, die Vorläuferorganisation der Arolsen Archives mit Sitz im hessischen Bad Arolsen. Daraus geht hervor, dass er am 7. August 1944 in das Konzentrationslager Buchenwald überwiesen wurde. Dort wurde er unter der Nummer 5584 registriert. Jedoch findet sich dieses Dokument nicht im Online-Archiv der Arolsen Archives.

Häflingspersonalkarte:_Flossenbürg_Johann_L

Die Häftlingspersonalkarte von Johann L. im Konzentrationslager Flossenbürg. Arolsen Archives DocID_10889760


Offenbar wurde Johann L. von Saarbrücken möglicherweise allein nach Buchenwald verbracht. Der 45. Transport aus Paris kam mit 37 Männer und drei Frauen, darunter der spätere Diplomat und Autor Stéphane Hessel, kam am 9. August 1944 in Saarbrücken an. Die Männer dieses Transports blieben bis zum 16. August in Saarbrücken und wurden am 17. August 1944 im Konzentrationslager Buchenwald registriert. Im Online-Archiv der Arolsen Archives ist eine Häftlings-Personal-Karte des Konzentrationslagers Flossenbürg von Johann L. nachgewiesen. Dort wurde er am 29. August 1944 als Zugang unter der Nummer 19843 registriert.

Idylle mit Sonnenuntergang an einem ehemaligen Ort des Terrors, dem Konzentrationslager Flossenbürg in der Oberpfalz

Idylle mit NS-Vergangenheit: Am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Flossenbürg wurde 1997 eine Gedenkstätte errichtet. Quelle: LpB Saarland

Als Geburtsort wird „Niederlingsweiler“ angegeben. In dem von der Gedenkstätte Konzentrationslager Flossenbürg verantworteten Datenbankportal „Memorial Archives“ ist Johann L. als Geburtsort „Nieder Linseweiler“ zugeordnet. Diese Versionen sind auf die gesprochene, von Mundart und Dialekt gefärbte Sprache eines Häftlings und/oder das mangelnde Hörverständnis des Schreibers bei der Registrierung zurückzuführen. Das ist bei Recherchen in Datenbanken daher stets zu berücksichtigen. Das gilt auch für ausländische Orts- und Städtenamen. Als Wohnort der Ehefrau wurde auf der Personalkarte der Häftlingskarte Flossenbürg „Parthenay“, dort geschrieben „Partenay“ im Departement Deux-Sèvres angegeben. Auch im Fall von Johann L. verblieb die Ehefrau in Frankreich oder wurde ausgewiesen. Wie hierbei verfahren wurde, darüber ist nichts im Unterschied zu den Ehefrauen der Familie Frank bekannt. Fakt bleibt, dass die Ehefrau und die einzige Tochter, neben vier Söhnen, wovon drei in Gefängnissen und Konzentrationslagers inhaftiert waren und einer dort sein Leben verlor, keine dieser Maßnahmen zu erdulden hatte. Johann L. gibt an, dass er vom 8. August 1944 bis zum 25. April 1945 im KZ Flossenbürg gewesen war. Das ist nachweislich nicht korrekt. Ihm gelang die Flucht auf dem Todesmarsch der Häftlinge von Flossenbürg nach Dachau. Danach wurde auch er von der US-Armee befreit.
Fakt ist jedoch, dass er nicht direkt von Saarbrücken nach Flossenbürg gekommen war. Das war kein üblicher Haftweg von Saarbrücken aus. Meist wurden die männlichen Häftlinge aus Saarbrücken direkt nach Dachau und Mauthausen sowie nach Buchenwald und Sachsenhausen direkt verbracht. Die Frauen kamen von Saarbrücken aus direkt in das Konzentrationslager Ravensbrück. Von diesen Orten aus wurden die von Saarbrücken verbrachten Frauen und Männer in andere Lager verlegt. Direkteinweisungen von Saarbrücken nach Flossenbürg kamen nicht vor. Wiederum zeigt sich, dass jede in einer Landesentschädigungsakte gemachte Angabe noch einmal überprüft werden muss. Dabei lohnt es sich, in den Arolsen Archives und dem Memorial Archives zu recherchieren. Nach der Befreiung kehrte Johann L. in seinen Herkunftsort zurück. Dort engagierte er sich Johann L. weiter in der Einheitsgewerkschaft, die er mitbegründet hat. Er war von 1946 bis 1949 Bürgermeister von Oberlinxweiler bei St. Wendel.  Dort wurde später eine Straße nach ihm benannt. Er starb am 1. Januar 1956.

Literatur

  • Ernst Fränkel: The Dual State. A Contribution to the Theory of Dictatorship. New York 1940/41. Der Doppelstaat. Recht und Justiz im „Dritten Reich“. Frankfurt/Main 1974.
  • Gerhard Paul: Das nationalsozialistische Herrschaftssystem im Saarland. In: Zehn statt tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar 1935-1945. Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums Saar im Saarbrücker Schloss. Hg. Stadtverband Saarbrücken. Saarbrücken 1988. S. 37-48.
  • Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann: Das zersplitterte Nein. Reihe „Widerstand und Verfolgung im Saarland 1935-1945“. Herausgegeben von Hans-Walter Herrmann. Band1. Bonn u.a. 1989. Zu Jakob Frank: S.68-73)
  • Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann: Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten Reich. Unter Mitarbeit von Hans-Henning Krämer. Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935-1945. Herausgegeben. Reihe „Widerstand und Verfolgung im Saarland 1935-1945“. Herausgegeben von Hans-Walter Herrmann. Band 2. Bonn u.a. 1991.
  • Inge Plettenberg: „Hubert im Wunderland“. In: Saarländer in Moskau. Herausgegeben von Patric Bies, Vladislav Drilenko, Max Hewer. Saarbrücken 2018. S. 26-31.
  • Elisabeth Thalhofer: Neue Bremm. Geschichte des Saarbrücker Gestapo-Lagers. Mit einem Vorwort von Rainer Hudemann. Vollständig überarbeitete und ergänzte Neuausgabe. St. Ingbert 2019.